29. Sitzung - Der versuchte Mord an Ahmed I.

NSU 2.0

Am 6. Mai 2022 fand die 29. Sitzung des Lübcke-Untersuchungsausschusses statt. Schwerpunktmäßig ging es um den Mordversuch an Ahmed I. im Jahr 2016, für den Lübcke-Mörder Stephan Ernst zwar angeklagt, aber nicht verurteilt wurde. Außerdem wurde die Beurteilung der besonderen Gefährlichkeit von Markus H. und Stephan Ernst thematisiert. Dazu wurden drei Zeugen befragt, darunter Ahmed I. selbst. Eine vierte Zeugin war wegen Krankheit entschuldigt.

Oberstaatsanwalt der Generalbundesanwaltschaft Dieter Killmer – leitete die Ermittlungen im Mordfall Walter Lübcke

Als erster Zeuge sagte der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer aus, der die Ermittlungen zum Mord an Walter Lübcke und dem Mordversuch an Ahmed I. geführt hat. Er mache den Ermittelnden von 2016 grundsätzlich zwar keinen Vorwurf, räumt aber ein, dass er die Gewichtung der Tathypothesen „persönliches Umfeld“ und „rechtsmotiviert“ in den damaligen Ermittlungen nicht bewerten könne.  Eine Fehleinschätzung könne er nicht ausschließen. Die Pannen bei NSU-Ermittlungen hätten diesbezüglich seinen Blick geschärft. Weiter wollte Killmer nicht ausschließen, dass ein Weiterverfolgen der Spur „rechtsmotivierte Straftat“ zu Ernst hätte führen können. Eine Grundlage für solche Ermittlungen sehe er rückblickend aber nicht.

Dies ist nicht nachvollziehbar, denn für Ernst sprachen viele Indizien: Er wohnte in Tatortnähe, hatte kein Alibi (die Angaben wurden auch nicht geprüft), er besaß ein ähnliches Fahrrad wie der Täter, was auf den Videoaufnahmen einer Überwachungskamera am Tatort zu sehen war, er beging auch schon früher Messerangriffe aus rassistischen Motiven. Es wird thematisiert, dass ein Szene-Freund von Ernst, Raphael F., Security in der Flüchtlingsunterkunft von Ahmed I. war. Zu diesem gab es nach unseren Erkenntnissen auch keine weiteren Ermittlungen.

 

Ahmed I – Überlebte 2016 einen Mordanschlag

Anschließend sagt Ahmed I. aus. Er berichtet, wie er nach der Tat noch im Krankenhaus von der Polizei befragt worden sei. Und wie er sich aufgrund der Befragung als Beschuldigter gefühlt habe. Schon damals habe er eine rassistische Tatmotivation vermutet.

Auch bei weiteren Bedrohungssituationen gegen ihn sei er nicht ernst genommen worden und habe keine Unterstützung erhalten. Die Polizei habe ihm Telefonnummern gegeben, die er bei Bedrohungen hätte anrufen sollen. Als er dies nach einer Bedrohung getan habe, hätte er jedoch nur weitere Telefonnummern erhalten. Unternommen worden sei nichts. Stattdessen habe die Polizei ihn unangekündigt für weitere Befragungen aufgesucht. Eine Erlaubnis, Kassel zu verlassen habe er nicht bekommen.

Ahmed I. sagt, er könne nicht nachvollziehen, wieso es keine Hausdurchsuchung bei Ernst gegeben habe. Hätte die Polizei von Anfang an auf ihn gehört, könnte Lübcke vielleicht noch leben. Außerdem kritisiert er, dass sich nahezu keine Politiker:innen seinem Fall angenommen hätten.

Er bittet den Untersuchungsausschuss um Aufklärung und echte Untersuchung. Auch die Polizei müsse betrachtet werden. Als er sich zuletzt an die Polizei gewendet habe, sei er anschließend als Beschuldigter in einem anderen Fall vernommen worden.

Es habe eine Durchsuchung in seiner Abwesenheit gegeben, seine Kleidung sei konfisziert worden und er habe bei -10°C in einem Corona-Schutzanzug nach Hause gehen müssen. Er habe das Vertrauen in die Polizei verloren.

Auf Befragen sagt Ahmed I., er sei eigentlich nur über die Ermittlungen in seinem Fall informiert worden, wenn er aktiv nachgefragt habe. Auch über Unterstützungsleistungen sei er nicht informiert worden.

Für uns ist klar: Ahmed I. wurde als Betroffener rechter Gewalt falsch behandelt. Richtlinien zum Opferschutz wurden nicht merklich eingehalten. Dieser Zustand ist unhaltbar. Betroffene müssen gesetzlich gesicherte Unterstützung erhalten und dürfen nicht allein gelassen werden.

 

Kriminaloberrat Harald G. – Staatsschutz Kassel

Abschließend wird der ehemalige KriPo-Beamte Harald G. vom Staatsschutz in Kassel befragt. Er führte 2016 die Ermittlungen im Fall Ahmed I. Seine Aussage ist nicht sehr aufschlussreich. Es bestehen größere Erinnerungslücken.

Die Zeugenbefragung bekannter rechtsmotivierter Straftäter im Umfeld des Tatorts sei lediglich als „Strohhalm“ erfolgt. Da sich kein konkreter Anfangsverdacht ergeben habe, habe es auch keine weiteren Ermittlungen gegeben. Das gelte auch für Ernst.

Der Zeuge stimmt der (retrospektiven) Kritik an den Ermittlungen zum Mordversuch an Ahmed I in Teilen zu. In der damaligen Situation sei jedoch alles richtiggemacht und alle Möglichkeiten seien ausgeschöpft worden. Leider hat der Zeuge auch keine Erinnerung daran, dass der Täter mutmaßlich etwas mit „Deutschland“ gerufen habe.

Auch eine Liste zur Zeugenbefragung bekannter Neonazis aus Nordhessen sei ihm nicht erinnerlich. Was die „Einstufung hoch“ bei Ernst bedeute, wisse er nicht. Raphael F.s Tätigkeit als Security in der Unterkunft sei ihm nicht bekannt. Die Sitzung endet mit dieser Befragung.