Durchführung eines Vertreterbegehrens, gemäß § 8b der HGO, über den Bau des Parkhauses Goethestraße

Antrag an die Stadtverordnetenversammlung Wetzlar, für den 30.06.2021

Fraktion DIE LINKE.

Antrag an die Stadtverordnetenversammlung Wetzlar, für den 30.06.2021

Betreff:

Durchführung eines Vertreterbegehrens, gemäß § 8b der HGO, über den Bau des Parkhauses Goethestraße

Anlage/n:

ohne Anlagen

Text:

Die Stadtverordnetenversammlung beschließt, am 26.Sept. 2021, gemeinsam mit der Bundestagswahl, zum Bau des umstrittenen Parkhauses Goethestraße einen Bürgerentscheid mit folgender Frage durchzuführen:

„Soll in der Wetzlarer Altstadt ein neues Parkhaus in der Goethestraße gebaut werden?“

Der Magistrat wird aufgefordert bis zur Entscheidung der Wetzlarer Bürgerinnen und Bürger, keine weiteren Entscheidungen zu treffen, noch entsprechende Aufträge zum Bau oder dessen Vorbereitungen zu vergeben (Moratorium).

Wetzlar, den 14.06.2021                        gez. Sarah Dubiel

Begründung:

Mit der Einführung des Vertreterbegehrens, gemäß § 8b der HGO, haben auch die Stadtverordneten der Stadt Wetzlar die Möglichkeit, von sich aus einen Bürgerentscheid zu wichtigen Angelegenheiten, durch Beschluss von zwei Dritteln der Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung, selbst einzuleiten. Das ,,Vertreterbegehren" ist seit der Gesetzesnovelle 2015 das Kernstück des Gesetzes zur Erleichterung der Bürgerbeteiligung auf Gemeindeebene vom 20. Dezember 2015.

Da in der Stadtgesellschaft die Frage des Baus des Parkhauses Goethestraße seit Jahren hoch strittig diskutiert wird, erscheint es sinnvoll und notwendig, eine wirklich offene und intensive Debatte in Wetzlar zu führen. In der letzten Legislaturperiode wurden, unter den Corona-bedingten Beschränkungen, die Bürgerinnen und Bürger - gemessen an der besonderen Bedeutung der Maßnahme für die Stadt - nicht angemessen beteiligt. Deshalb sollen die Bürgerinnen und Bürger über dieses wichtige Thema in einem Bürgerentscheid direkt befragt werden. Damit kann den Entwicklungen und Empfehlungen zu Bürgerbeteiligung und partizipative Formen der Demokratie, für die sich sogar der Bundespräsident einsetzt, noch entsprochen werden – vgl. auch: Friedrich-Ebert-Stiftung, Handreichung für die kommunale Praxis, Texte der KommunalAkademie, Band 7.

Dieser Bürgerentscheid sollte, zur Reduzierung von Kosten, gemeinsam mit der nächsten Wahl zum Deutschen Bundestag am Sonntag, den 26.09.2021, durchgeführt werden. Der Verwaltungsaufwand und die Kosten können damit auf ein Minimum reduziert werden.

Bis zu diesem Bürgerentscheid soll der Magistrat keine präjudizierenden Entscheidungen zum Parkhaus treffen und vor allen Dingen keine Auftragsvergaben oder Verträge zur Vorbereitung oder Durchführung der Baumaßnahme mehr vornehmen. Stattdessen wird der Magistrat aufgefordert, die Zeit bis zum 26.09.2021 zu nutzen, um in Veranstaltungen seine Argumente für einen Bau des Parkhauses öffentlich vorzutragen und sich in einen intensiven öffentlich geführten Dialog mit den Gegnerinnen und Gegnern des Projektes, insbesondere aus der BI Lebenswerte Altstadt, zu begeben. Dabei sollen auch die zu erwartenden gesamten Baukosten, sowie die danach geschätzten laufenden Unterhaltungskosten des Parkhauses dargelegt werden. 

Stadtentwicklung und Stadtplanung/Stadtgestaltung haben nach aktueller Gesetzeslage und grundsätzlichen Erwägungen zu berücksichtigen:

1. Verpflichtung zur Nachhaltigkeit:

a)Die ökologische Freifläche der sog. „Marienwiese“ wird bereits mit dem Bau unter Verwendung ausschließlich unökologischer Baustoffe in großer Masse eine sehr negative CO2-Bilanz aufweisen.

b) Der Betrieb des Parkhauses wird mit erheblichen Belastungen an Schadstoffen und Verkehrslärm die benachbarte Umwelt belasten.

c) Klimapolitik ist gesamtgesellschaftliches Erfordernis und die besondere Verpflichtung der politischen Entscheider. Es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass die Notwendigkeit zur Verkehrswende ein wesentlicher Bestandteil der Politik zur Einhaltung der Klimaziele für die Begrenzung des schädigenden Klimawandels ist. Damit ist zu erwarten, dass sich Mobilität sehr viel schneller als noch von vielen gedacht, insbesondere in Zentrumslagen ändern wird nach den zahlreichen bereits weltweit und zunehmend auch in Deutschland realisierten Vorbildern. Neue und breiter aufgestellte Mobilitätsformen werden bereits innerhalb weniger Jahre den von den Befürwortern des Parkhauses jetzt noch behaupteten Bedarfs nicht verifizieren. Das sehr kostspielige und sich zerstörend auswirkende Parkhaus an dieser Stelle wird damit mittel- und langfristig nicht zu rechtfertigen sein.

2. Maximal mögliche Förderung von Kindern - Kinder habe Vorrang vor Autos:

Das Biotop der sog. Marienwiese trug über Jahrzehnte in pädagogischer wertvoller Weise zur Entwicklung vieler Kinder im Kinderhort Marienheim bei. Der Ersatzbau, nicht nur äußerlich einem Bürobau näher als einem zeitgemäßen Kinderhort, bietet nicht annähernd die verlorenen Qualitäten auf.

3. Berücksichtigung von Maßstäblichkeit, Angemessenheit der Nutzung und städtebaulicher Qualität:

Seit Jahrhunderten in freiräumlichem Verbund mit der wertvollen innerstädtischen Freifläche des Rosengärtchens und mit Sichtqualitäten auf Kulturdenkmälern höchsten Ranges, wie den Dom, wird die Bebauung mit dem Parkhaus nachhaltig der stadträumlichen Qualität schaden.

4. Berücksichtigung von kulturellem Wert historischer Denkmäler und archäologischer Funde:

Die Grabungen haben erwiesen, dass sich sehr viel bedeutendere stadtgeschichtliche Zeugnisse auf dem Areal der Marienwiese befinden als je vermutet, Fachleute sprechen gar von der Neuschreibung der Wetzlarer Geschichte. Diese Zeugnisse sollten, wie andernorts in vergleichbaren Fällen selbstverständlich, der Öffentlichkeit als historische Lehrstätte zugängig sein, statt mit einem fragwürdigen Parkhaus für immer zerstört zu sein.

5. Pflicht der Politik zur umfassenden und sorgfältigen Abwägung unter allen denkbaren Alternativen:

Entgegen dieser Prämisse wurden in Wetzlar die den Bau des Parkhauses tragenden Beschlüsse nach dem Prinzip der „Alternativlosigkeit“ getroffen. Weder sind alternative Standorte, noch die grundsätzliche Hinterfragung des tatsächlichen Erfordernisses angemessen untersucht, breit diskutiert und abgewogen worden. Zudem ist nicht untersucht worden, die Obsoleszenz des teuren und schädigenden Parkhaus-Baus durch Implementierung eines erheblich günstigeren und effektiveren intelligenten Garagen- und Stellplatz-Managements im Quartier nachzuweisen.

6. Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln mit dem Geld der Steuerzahlenden:

Es ist bereits aus vorgenannten Gründen und Verpflichtungen abzuleiten, dass Bürgerinnen und Bürger mit dem Parkhaus unangemessen belastet werden. Das Argument, der Bau des Parkhauses würde durch die städtebauliche Entwicklungsgesellschaft und nicht durch die Stadt finanziert, ist ein Scheinargument: Die Bauherrin ist eine 100%-ige Tochtergesellschaft der Stadt mit beschränkter Haftung und steht damit auch zu 100 % für die einhergehenden Verluste ein. Es ist offensichtlich, dass die Baukosten und Baunebenkosten nicht annähernd durch betriebliche Einnahmen des Parkhauses refinanziert werden können. Soll das Parkhaus nicht kontraproduktiv zum erklärten Nutzungsziel der Belebung der Altstadt stehen, dürften Parkpreise allenfalls nur in geringer Höhe erhoben werden, da es ansonsten nicht ausgelastet würde. In Anbetracht notwendiger Verkehrswende ist der Bau dieses Parkhauses, nur rd. 60 Meter vom Dom entfernt, die unwirtschaftlichste aller denkbaren Lösungen mit erheblichen künftigen finanziellen Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Wetzlar.

Wir weisen zudem darauf hin, dass die Beschlussempfehlung, die den Stadtverordneten vor der Abstimmung zum Parkhaus vorgelegt wurde, schwerwiegende und vor allem entscheidungsrelevante Fehler enthielt, sodass die Entscheidung für das Parkhaus auf der Grundlage falscher Fakten getroffen wurde. Die Fehler konnten aber erst aufgedeckt werden, als die Entscheidung für das Parkhaus schon gefallen war. Daher ist es unumgänglich, dass eine neue Bewertung des Bauvorhabens jetzt durch einen Bürgerentscheid erfolgen muss.

Nachfolgend sind die Fehler, die Herr Harald Minde in seinem Film „Die große Parkhauslüge in Wetzlar“ darstellt und im Anhang unter dem Video auch belegt aufgeführt:

  • Die sehr häufig angeführte irreführende und nachweisbar falsche Behauptung, dass Ersatz für 130 Parkplätze im wegfallenden Stadthaus benötigt würde. (Siehe Film, Minute 5:53)
  • Die irreführende und nachweisbar falsche Behauptung, dass für wegfallende Parkplätze am Domplatz, Fischmarkt und Kornmarkt Ersatz benötigt würde. (Siehe Film; Minute 7:46 und 24:40)
  • Die irreführende und nachweisbar falsche Behauptung, dass das Parkhaus benötigt würde, um Parksuchverkehr zu beseitigen. (Siehe Film; Minute 8:30)
  • Die Behauptung, dass das Parkhaus an der Stadthalle in irgendeiner Weise voll ausgelastet sei und daher nicht zur Verfügung gestellt werden könne. (Z.B. für mobilitätseingeschränkte Fahrer*innen). Laut Gutachten der Stadt stehen dort immer 115 Parkplätze frei. (Siehe Lademacher-Gutachten (2015) S.9) Das hat Herr Minde durch eine Zählung vor Corona bestätigt.
  • Die Behauptung, man benötige das Parkhaus für mobilitätseingeschränkte Menschen. Die Steigung vom Domplatz bis zur Fußgängerrampe des geplanten Parkhauses beträgt 5,6%. Von der gleichen Stelle am Domplatz bis zum Parkhaus an der Stadthalle sind es 4,5 %. (Siehe Anmerkungen zum Film; Quelle 46)
  • Die Behauptung, dass die Parkstände im Parkhaus an der Stadthalle bei einem Umbau deutlich breiter ausgelegt werden müssten. Die Parkstände im Parkhaus an der Stadthalle sind bereits jetzt bei weitem breiter als im geplanten Parkhaus. (Siehe Film, Minute 16:11)
  • Die Behauptung, dass im Parkhaus an der Stadthalle nur außerhalb von Veranstaltungen und nur für Kurzzeitparker geparkt werden könne. (Siehe Film, Minute 18:41)
  • Die Behauptung, dass das Parkhaus für Anwohner benötigt würde. Es gibt in der Altstadt genügend Parkplätze, wenn man die Verteilung klug vornimmt. (Siehe Film, Minute 21:04)
     
  • Die Behauptung, dass der Parkhausbau in irgendeiner Weise den Standort (Marienwiese) ökologisch verbessere. Das ist eine Ablenkung von dem Beton, der bei dem Parkhausbau ca. 4000 Tonnen CO2 erzeugt. (Beispiel für Ausgleich: 10 Jahre lang 32.000 Buchen von 23 Meter Höhe wachsen lassen.)
  • Deutliche Überlastungsprobleme sind an der Kreuzung am Goethebrunnen zu erwarten, schon heute ein Nadelöhr, an dem es regelmäßig zu Staus kommt.  (Siehe Film, Minute 10:55)

Link zum Film von Harald Minde: https://www.youtube.com/watch?v=awUJo_nIqnc

Aus alle diesen vorgenannten Gründen werden die Stadtverordneten ersucht, dem Antrag, per Parlamentsbeschluss alsbald einen Bürgerentscheid aller Wetzlarer Bürgerinnen und Bürger zum geplanten Parkhaus Goethestraße durchzuführen, zuzustimmen!