38. Sitzung – Politische Verantwortlichkeit für Fehler bleibt aus

In der 38. Sitzung am 23.02.2023 wurden Innenminister Peter Beuth (CDU) sowie der ehemalige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) vernommen.

 

Peter Beuth – seit 2014 Hessischer Innenminister

Die Befragung von Peter Beuth begann mit einem 70-minütigen Monolog, in dem er sich keine Fehler vorzuwerfen wusste. Unter seiner Amtsführung seien die Sicherheitsbehörden gestärkt und ausgebaut worden; es gebe einen Fokus auf Rechtsextremismus als größte Gefahr für die Gesellschaft. Das Eigenlob untermauerte er wenig überzeugend mit Maßnahmen, die größtenteils in Reaktion auf den Mord an Walter Lübcke eingeführt wurden und daher als Eingeständnis von strukturellem Versagen gedeutet werden müssen. Da wäre beispielsweise „BIAREX“, eine Einheit zur „Bearbeitung integrierter bzw. abgekühlter Rechtsextremisten“, die im 2019 im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) zur nachträglichen Überprüfung bereits intern gelöschter Akten ins Leben gerufen wurde. Eine dieser Akten war die von Stephan Ernst, dem späteren Lübcke Mörder – allerding nur eine von ca. 2750 Akten aus dem Bereich der Extremen Rechten. Weiter führte Beuth an, die Analysekompetenz des LfV sei ausgeweitet worden, um neue verfassungsfeindliche Phänomene prüfen zu können. Dass dies dringend nötig wäre, zeigt unserer Meinung nach die ausbleibende oder zu späte Einstufung von KAGIDA, AfD und Identitärer Bewegung – alles Gruppierungen, zu denen Stephan Ernst in Verbindung stand. Ob die neue Analysekompetenz nun dazu in der Lage ist, den sogenannten „Extremismus der Mitte“ zu berücksichtigen und von der unwissenschaftlichen Exremismustheorie abzurücken, bleibt zu bezweifeln. Auch das Selbstlob für den Kampf gegen rechte Hetze im Netz bleibt unglaubwürdig, da von über 10.000 Meldungen lediglich 20 zu einer Verurteilung führten.

Trotz stoischen Wegsehens musste Beuth einige Fehler seiner Behörden einräumen. Die Löschung der Akte Ernst sei ein Fehler gewesen, genauso wie die ausbleibende Übermittlung von Erkenntnissen zu Markus H., um dessen legalen Waffenzugang zu verhindern. Bewaffnung und Schießübungen von Ernst und H. seien allerdings erst nach dem Mord bekannt geworden, weshalb hier keine Versäumnisse vorlägen. Diese Einschätzung überrascht uns, da zumindest ein Teil der Vorgänge noch während der Bearbeitung durch das LfV erfolgten und nicht bemerkt wurden.

In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und dem Parlament prägte Beuth den Begriff „abgekühlt“, um zu begründen, wieso Ernst und H. nicht mehr vom LfV beobachtet wurden. In der Befragung räumte er ein, der Begriff „abgekühlt“ sei kein analytischer Begriff, sondern von ihm für die Öffentlichkeit gewählt worden. In vorangegangenen Sitzungen des UNA hatten selbst Mitarbeitende des LfV heftige Kritik an der Begrifflichkeit geäußert, da sie unterkomplex für die Bewertung ideologisch-gefestigter „Rechtsextremisten“ sei, die auch nach einem Rückzug aus der Szene gefährlich blieben.

Beuth drückte während der Vernehmung seine Überzeugung aus, der Mord sei nicht zu verhindern gewesen. Diese Bewertung ist unserer Meinung nach spekulativ und reiner Selbstschutz. Es hätte Ansatzpunkte gegeben, um die Gefährlichkeit von Ernst und Markus H. zu bemerken: Die rechten Bedrohungen während und nach der Bürgerversammlung in Lohfelden, die sich bei KAGIDA- und PEGIDA fortsetzten und Lübcke als Ziel der Extremen Rechten markierten; der Mordversuch an Ahmed I.; Schießübungen in Wäldern und bei Vereinen; die legale wie illegale Bewaffnung sowie Informationen über Ernst, die zwar vorhanden waren, aber nicht zugeordnet wurden.

 

Volker Bouffier – 1999-2009 Innenminister, 2010-2022 Ministerpräsident Hessens

Volker Bouffier schloss sich, wenn auch diplomatischer formuliert, der Meinung Peter Beuths an: Es habe keine Hinweise auf das bevorstehende Attentat gegeben. Dass Ernst und H. nicht mehr auf dem Schirm der Behörden gewesen seien, könne er nur so erklären: Entweder es habe keine Ansatzpunkte mehr gegeben, oder es habe welche gegeben, die den Behörden entgangen oder falsch bewertet worden seien. Die ausbleibende Verfolgung der rechten Hetzkampagne gegen Lübcke konnte oder wollte er nicht beurteilen – von der damals verweigerten Stellungnahme der Landesregierung zur rechten Hetzkampagne gegen Lübcke höre er zum ersten Mal.

Uns bleibt der Eindruck, dass bis heute nur Fehler eingestanden werden, die nicht mehr zu leugnen sind. Die persönliche Betroffenheit über den Mord an einem Parteifreund erkennen wir selbstverständlich an. Zu einem Eingeständnis des Versagens der Sicherheitsorgane, insbesondere des LfV, bei den politisch Verantwortlichen scheint sie jedoch nicht geführt zu haben.