Rede von Hermann Schaus

"Wir werden jeden Schritt in Richtung auf einen Überwachungsstaat zurückweisen"

Hermann Schaus

Zu den Änderungsanträgen zurm "Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung" (HSOG)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir haben den Änderungsantrag eingebracht, damit er in dieser Debatte schon vorliegt. Lassen Sie mich aber zunächst zur Aussage meines Vorredners, Herrn Greilich, kommen, hier würde das liberalste Polizeirecht geschaffen, das es je in Hessen gegeben habe. Herr Greilich, das kann ich in der Tat ganz und gar nicht nachvollziehen. Wenn Sie damit gemeint haben, dass Sie als FDP – die sich ab und zu als „Liberale“ bezeichnen – daran maßgeblich beteiligt waren, dann kann ich es nachvollziehen – weiß Gott aber nicht, wenn es um den Inhalt geht. (Beifall bei der LINKEN)

Die Koalitionsfraktionen haben hier gemeinsam einen sehr umfassenden Gesetzentwurf vorgelegt. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen versichern, dass wir als LINKE Ihren Entwurf sehr sorgfältig prüfen und uns dann auf der Grundlage einer notwendigen Sachverständigenanhörung eine abschließende Meinung bilden werden. (Holger Bellino (CDU): Die Rote Hilfe – oder wer kommt da?)

Schon jetzt aber wollen wir auf folgende Gesichtspunkte hinweisen, die wir auch zum Gegenstand unseres ersten Änderungsantrags gemacht haben, um unsere Sichtweise in das Anhörungsverfahren mit einzubringen. Herr Greilich hat darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht den § 14 Abs. 5 des HSOG mit der bisher darin geregelten Kfz-Kennzeichenerfassung als verfassungswidrig erklärt hat. Nach ihrem Entwurf soll aber diese Vorschrift in ihrem vollständigen Wortlaut weiterhin bestehen bleiben. (Wolfgang Greilich (FDP): Quatsch! – Holger Bellino (CDU): Der versteht es doch nicht!)

Das stellt aus unserer Sicht eine Provokation des Bundesverfassungsgerichts dar. (Beifall bei der LINKEN)

Deshalb schlagen wir konsequenterweise die Streichung von §14 Abs. 5 des HSOG vor: um der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Folge zu leisten. Diese Vorschrift ist verfassungswidrig, weil sie gegen Art. 2 Abs. 1, also die allgemeinen Persönlichkeitsrechte, in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes, also die Garantie der Menschenwürde, verstößt. So hat es das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 11.03.2008 entschieden.
Auch wenn ein Teil dieses Regelungsgehalts in den neuen § 14a übernommen werden soll, so ist dies eine bewusste Insubordination gegenüber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dies muss korrigiert werden. (Beifall bei der LINKEN)

Herr Greilich, die neuen Voraussetzungen des §14a sind nämlich ganz weit gefasst und erlauben faktisch eine umfassende und gegenüber den Betroffenen verdachtsunabhängige Überwachung, die jetzt auch noch ausdrücklich verdeckt erfolgen soll, und nicht nur die Kfz-Kennzeichen, sondern auch – das haben Sie verschwiegen – die Bilder der Insassen der Fahrzeuge enthalten darf. Das ist eine Verschärfung, keine Verbesserung. Für eine derartige Überwachung der Bevölkerung gibt es keine nachvollziehbare Rechtfertigung. (Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Kollege Bellino, hören Sie doch auf, hier dauernd von der Seite hereinzubrebeln. Hören Sie sich das erst einmal an, dann können wir im Innenausschuss weiter darüber diskutieren. (Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU)) Dann kommen Sie her, und stellen Sie sich vor mich, dann können Sie das weiter machen – wenn Sie der Meinung sind, das sei so aufregend, was ich sage. Du meine Güte. (Zurufe der Abg. Holger Bellino und Volker Hoff (CDU))

Für eine solche Überwachung der Bevölkerung gibt es keine nachvollziehbare Rechtfertigung. Vor einigen Monaten haben CDU und FDP in diesem Hause einen Antrag eingebracht, der die Einführung einer Section Control – also eine Geschwindigkeitsmessung von Kraftfahrzeugen innerhalb eines definierten Abschnittes vorsieht –, wegen erheblicher verfassungs- und datenschutzrechtlicher Bedenken abgelehnt. Es ist schon ein merkwürdiges Freiheitsverständnis der FDP und der CDU, dass sie bei der Erfassung von Rasern die durchaus bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken erkennen, nicht aber bei Normalbürgern, gegen die keinerlei Verdacht besteht und die lediglich zufällig eine bestimmte Straße befahren. (Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Durch unseren Änderungsantrag soll deswegen die Einführung des §14a in das HSOG verhindert werden. Zwar werden die Voraussetzungen der Überwachung hier gegenüber § 14 Abs. 5 – der ja verfassungswidrig ist – neu gefasst, doch sind für uns die verfassungsrechtlichen Bedenken in keiner Weise ausgeräumt. (Beifall bei der LINKEN)

Den Lauschangriff in den Wohnungen wollen Sie durch eine gesetzliche Einbruchsermächtigung zum Zwecke der Wanzenanbringung in den Wohnungen erweitern. Unser dritter Änderungsantrag lehnt den Lauschangriff generell ab, mit dem zwangsläufig in den absolut geschützten Kernbereich der Intimsphäre und der privaten Lebensgestaltung eingegriffen wird. Dies wird nicht dadurch besser, dass nunmehr in § 15 Abs. 7 auch noch eine gesetzliche Einbruchsermächtigung zum Zwecke der Wanzenanbringung in den Wohnungen eingeführt wird. Derartige Lauschangriffe können zu erheblichen Verletzungen der Menschenrechte führen und gehören nicht in dieses Gesetz. (Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir lehnen ebenso die vorgesehene Onlineüberwachung und Aufrechterhaltung der Möglichkeit der Rasterfahndung ab. Die Entwicklung der Onlineüberwachung droht zu einem der größten Eingriffe in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger zu werden. Auf unseren Computern befinden sich eine Vielzahl sensibler persönlicher Daten, die von dieser Überwachung betroffen sein können. Einen wirklichen Schutz vor dem Missbrauch dieser Daten gibt das Gesetz nicht her. Vielmehr besteht die Gefahr, dass hier Einrichtungen geschaffen werden, die ein Medium auch in seiner Funktion des Meinungsaustauschs und der politischen Willensbildung beeinträchtigen können. Wir beantragen deshalb die Streichung der Vorschrift des §15b HSOG.

Durch die Rasterfahndung kann praktisch jeder Mensch alleine durch seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe zu einem potenziellen Schwerverbrecher gemacht werden. Im Übrigen wurde der Lauschangriff nach § 15 Abs. 4 nach Angaben der Landesregierung, die sie noch im vergangenen Jahr gegenüber dem Landtag gemacht hat, noch nie durchgeführt, und die Rasterfahndung nach § 26 wurde nur einmal vor etwa acht Jahren durchgeführt. Eine polizeiliche Befugnis für diese Vorschrift ist uns deshalb nicht ersichtlich. Solche, auf Vorrat angelegte Überwachungsgesetze haben aber gleichwohl eine tendenziell demokratiefeindliche Wirkung – da müssten jetzt Sie von der rechten Seite dieses Hauses aufschreien –, weil Sie bei den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl der Überwachung und Erfassung hervorrufen. Dieses Gefühl beeinträchtigt nicht nur die Privatsphäre, sondern erzeugt auch eine Art Konformitätsdruck. (Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, dem ist in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat entschieden entgegenzutreten, zumal ein Missbrauch solcher Eingriffsbefugnisse niemals ausgeschlossen werden kann. Deshalb haben wir auch hier die Streichung der Rasterfahndung beantragt. (Beifall bei der LINKEN)

Zu guter Letzt wollen wir unter Einfügung des neuen Satzes 2 in den §32 Abs. 1 zur Klarstellung beitragen, dieser lautet: Die Ingewahrsamnahme von Personen zur Verhinderung ihrer Teilnahme an einer politischen Demonstration ist unzulässig.
Wir greifen damit auch Initiativen von Bürgerrechtsbewegungen auf, um einen Missbrauch der Rechtsnorm auf jeden Fall auszuschließen. Wir wollen hier niemandem etwas unterstellen. Wir wollen dies aber auch entsprechend klar geregelt haben. (Beifall bei der LINKEN)

Weil es ein Setzpunkt der FDP ist, über den wir hier reden, lassen Sie mich mit einem Zitat Ihrer Parteikollegin und ehemaligen Bundesjustizministerin Leuthäuser-Schnarrenberger schließen. Sie sagte am 23. Mai dieses Jahres im „Interview der Woche“ mit dem Titel „Hände weg von der Menschenwürde“ im „SWR“ – ich zitiere –: "Vorratsdatenspeicherung, Bundeskriminalamtsgesetz mit Rasterfahndung, Spähangriff, Lauschangriff. Das ist eine Politik, die möglichst viel von Bürgerinnen und Bürgern erfahren will, was sie sagen, wie sie kommunizieren, wo sie sich aufhalten, wie sie sich bewegen ... Es zeigt in meinen Augen, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab auch für die Politik – nicht nur für das Verfassungsgericht – immer wieder verletzt wird."

Dem ist nichts hinzuzufügen. – Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsident Heinrich Heidel: Danke schön, Herr Kollege Schaus. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Greilich gemeldet. (Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh, das geht früh los!)

Wolfgang Greilich (FDP): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe lange gezögert und mich gefragt, ob man auf einen so – das sage ich in Anführungszeichen – qualifizierten Beitrag überhaupt reagieren muss. (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!) Herr Kollege Wagner, auf der anderen Seite gibt es Dinge, die sich, wenn sie von dieser Stelle aus geäußert werden, dann vielleicht ein Stück weit einprägen können. Wenn schlicht Falsches behauptet wird, dann sollte man dafür sorgen, dass die Gefahr gleich gebannt wird.

Fangen wir einmal mit der zentralen Aussage von Herrn Schaus an. Ich glaube, Sie haben von „Insubordination“ gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht gesprochen. Das ist in der Tat ein schweres Wort, und es ist in der Tat offensichtlich eine schwierige Materie, Herr Kollege Schaus. Daher macht es Sinn, bevor man in dieses Haus Anträge einbringt, sich auch einmal mit der Rechtslage zu befassen. Sie wollen § 14 Abs. 5 HSOG streichen. (Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der ist schon weg!) Herr Kollege Schaus, den gibt es nicht. (Beifall bei der FDP und des Abg. Axel Wintermeyer (CDU)) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass diese Vorschrift unwirksam ist. Diese Entscheidung ist im „Gesetz- und Verordnungsblatt“ veröffentlicht worden. Damit ist Abs. 5 des § 14 HSOG weg, den können Sie nicht mehr streichen. (Beifall bei der FDP und der CDU – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber mit Sternchen ist er online im Blatt!) Meine Damen und Herren, das ist das erste, was wir festhalten wollen.

Zum Zweiten. Sie sagen, der Einsatz von Lesezeichengeräten würde auf die Erfassung von Personen ausgedehnt. Ich zitiere aus dem Gesetzentwurf § 14a Abs. 1, dort heißt es: "Die Bildaufzeichnung nach Satz 1" – das ist das Kennzeichen – "kann auch erfolgen, " – jetzt kommt das Wichtige – "wenn die Insassen der Fahrzeuge unvermeidbar betroffen werden." Entscheidend ist, dass es auch in den Fällen, in denen das Scannen dazu führt, dass eine Person möglicherweise identifizierbar wäre, sofort und automatisch gelöscht und erst gar nicht gespeichert wird. So könnte man jetzt alles, was Sie hier vorgetragen haben, Stück für Stück auseinandernehmen. Dies will ich dem Plenum ersparen. Lassen Sie uns dies im Ausschuss erledigen. Wir brauchen Ihren Antrag nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU)

Vizepräsident Heinrich Heidel: Herr Schaus, zur Beantwortung. – Bitte.

Hermann Schaus (DIE LINKE): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wollte nur aufklären, dass es für einen LINKEN ungewöhnlich ist, dass er einen Begriff wie „Insubordination“ verwendet, denn dieser kommt eigentlich aus der Militärsprache und heißt so viel wie Gehorsamsverweigerung, also eine Gehorsamsverweigerung gegenüber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. (Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn) Das ist Ihre Politik, nicht unsere. Herr Minister Hahn, wir kritisieren ja, dass Sie dies tun. Insofern bin ich für die Kurzintervention des Herrn Greilich dankbar.

Was hat er eigentlich gesagt? Er hat gesagt: §14 Abs. 5 ist sozusagen verfassungswidrig, und das ist auch veröffentlicht. Wir lassen ihn trotzdem im Gesetz, obwohl er verfassungswidrig ist und hängen den §14a an, der das konkretisiert. Warum nehmen Sie dann den § 14 Abs. 5 nicht raus? Das ist doch die spannende Frage. Welchen Grund haben Sie, diesen drinzulassen, da er insgesamt verfassungswidrig ist. Dann hätten Sie sich nämlich auch die ganzen Klimmzüge beim § 14a locker sparen können.

Herr Greilich, inwieweit jemand unmittelbar betroffen ist, dazu gibt es in der Rechtsprechung sehr große Unterschiede, nämlich dann wenn es um die Erfassung von Kfz-Kennzeichen und Personen geht. Unsere Position ist auf jeden Fall, dass die zusätzliche Erfassung von Personen eine Erweiterung ist, die Sie in den Gesetzentwurf eingebracht haben, die das Gesetz verschärft und quasi wieder zur Verfassungswidrigkeit führt. Vielleicht bekommen wir einen neuen Prozess. Wir werden es erleben. (Beifall bei der LINKEN)