Rede von Hermann Schaus

"Wir brauchen einen einheitlichen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn"

Hermann Schaus

Thema Mindestlohn

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren,

in Deutschland gibt es derzeit über 7 Millionen Menschen mit Hunger- und Niedriglöhnen. Davon mussten in 2006 alleine 5,5 Millionen beschäftigte für weniger als 7,50€ arbeiten. Und die Betroffenheit steigt rapide an, denn zwei Jahre zuvor waren es noch eine Million weniger.

Für Löhne unter 5€ arbeiten derzeit rund zwei Millionen Menschen.

Die geringen Löhne sind vor allem unüblich, denn mehr als 20% der Frauen sind davon betroffen, 70% der Beschäftigten mit einem sog. Minijob und 40% allein unter 25 jährigen müssen sich auf Löhne unter 7,50€ einlassen.

Rund drei Millionen Menschen verdienen so wenig, dass sie eigentlich einen Rechtsanspruch auf zusätzliche Leistungen durch das Arbeitslosengeld II haben, doch nur 1,3 Millionen nehmen diese zusätzlichen Leistungen tatsächlich in Anspruch. Vielen wird auch die Zuzahlung vermehrt, weil ihr sogenanntes „Schonvermögen“ höher ist. Andere schämen sich zum „Amt“ zu gehen.

Sogar mehr als 500.000 Vollzeitbeschäftigte erhalten zusätzliches ALG II. Immer mehr Unternehmer nutzen diese Kombilohnsituation schamlos aus um die Löhne weiter zu drücken.

So gibt es zahllose Fälle aus der Zeitarbeitsbranche, wo die Arbeitssuchenden gleich auf die ergänzenden Leistungen des ALG II verwiesen werden. 100€ weniger Lohn für den Arbeitgeber bedeuten so 80€ Zuschuss staatlicher Sozialleistungen. So werden faktisch die Unternehmer durch das ALG II subventioniert. Über 8 Milliarden€ mussten bisher jährlich für diese Aufstockungsleistungen – mithin rund 1/3 des Gesamtetats – aufgebracht werden und die Tendenz ist weiter steigend.

 

Mit einem Gesetzlichen Mindestlohn von 8,44€ wie er bisher in Frankreich geregelt ist (um 8,71€) brauchen viele Beschäftigte keine zusätzlichen staatlichen Leistungen mehr. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn könnten somit mehrere Milliarden€ jährlich an indirekten Subventionen für die Unternehmer eingespart werden.

„Der gesetzliche Mindestlohn gefährdet Arbeitsplätze“ behaupteten einige Experten wie z. B. des Ifo-Instituts, dass jüngst im Auftrage der umstrittenen Initiative neue soziale Marktwirtschaft, veröffentlicht wurde. Sie kommen zu solchen Rechenergebnissen, weil sie pauschal unterstellen, dass die Einführung von Mindestlöhnen automatisch, mit dem Faktor 0,7 zur Preissteigerungen führen würde.

Diese These ist durch nichts bewiesen und wird auch durch die Entwicklung in vergleichbaren Westeuropäischen Staaten klar widerlegt. So sind die Arbeitsplätze z. B in Frankreich kontinuierlich angestiegen und in Großbritannien, wo 1999 erstmals der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 8,20€ eingeführt wurde, wurden über 400.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.

Völlig unberücksichtigt bleiben bei diesen Betrachtungen die Nachfragewirkung, also die Kaufkraftsteigerung die Volkswirtschaftlich bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes bedeutsam ist.

Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass ein Gesetzlicher Mindestlohn in 20 von 27 EU-Staaten, darunter alle Westeuropäischen Staaten, mit Ausnahme von Italien und Österreich, bereits besteht und keine negative Erfahrungen gemacht wurden!

„Ein gesetzlicher Mindestlohn ist abzulehnen, weil er in die Tarifautonomie eingreife“, ist ein weiteres gängiges Argument.

Tatsache ist aber, dass der gesetzliche Mindestlohn ja gerade von den Gewerkschaften selbst seit Jahren eingefordert wird. Ich glaube nicht, dass die Gewerkschaften eine solche Forderung aufstellen würden, wenn sie darin eine Einschränkung der Tarifautonomie sehen würde.

Die gewerkschaftliche Forderung ist allerdings auf Grund der Tatsache aufgestellt worden, dass die Tarifbindung stetig abnimmt. So sind derzeitig nur noch 70% der Arbeitnehmer im Westen (im Osten 55%) in Betrieben mit Tarifvertragen beschäftigt. Ganze Branchen, auch neuere, wie im IT-Bereich, sind tariflos.

Darüber hinaus gibt es – aufgrund schwieriger und kleinteiliger Branchenstrukturen selbst in Tarifgebundenen Bereichen, wie z. B. dem Friseurhandwerk, dem Bewachungsgewerbe oder den privaten Postdiensten Tarifverträge, die unterhalb der von uns geforderten Mindestlohngrenze liegen, weil es hier den Gewerkschaften besonders schwer fällt, Mitglieder und damit Durchsetzungskraft zu entwickeln.

Unter der Überschrift „Düsseldorfer CDU fordert Bonus für Gewerkschafter“ war gestern in der FAZ zu lesen, dass sich die CDU-Landtagsfraktion in NRW große Sorgen um die Tarifautonomie macht. In einem entsprechenden Papier wurde dazu aufgerufen sich in Gewerkschaften und Verbänden zu organisieren und sich der Tarifbindung nicht zu entziehen.

Dennoch haben die Inhalte von Tarifverträgen, somit auch die Höhe der Löhne nichts mit dem gesellschaftlichen Wert der jeweiligen Arbeit und schon gar nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Die Tariflöhne drücken lediglich das Kräfteverhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber der jeweiligen Branchen aus. Wenn aber viele Arbeitgeber aus der Flaschentarifverträgen flüchten, wie gerade bei VAC - Vakumschmelze in Hanau, schwächt dies auch die Arbeitnehmer und führt zur Verweigerung des Lohnniveaus, ohne, dass sich an dem Wert der Arbeit des Einzelnen, irgendetwas geändert hat.

Einige Politiker/innen sprechen sich zwar für einen gesetzlichen Mindestlohn, jedoch Branchenbezogen aus. Zugegeben der auf tarifvertraglicher Grundlage, nach dem Entsendegesetz geregelte Mindestlohn am BAU oder bei der Gebäudereinigung ist ein Fortschritt für die Betroffenen. Bei den Postdienstmeistern, wo Konzerne wie Springer groß einsteigen wollen, war das gesamte Geschäftsmodel auf Lohndumping aufgebaut. Die staatliche ergänzende Sozialhilfe gleich mit einbezog. Hier wurde schnell deutlich, dass der Wert der Dienstleistung Postzustellung bei der gelben Post bei weit über 10€ pro Stunde liegt, während er bei der grünen und grauen Post zwischen 3,50 und 6€ lag. Wohlgemerkt für dieselbe Dienstleistung.

Unter Berücksichtigung dieser Punkte kann es nur eine Lösung geben, wir brauchen einen einheitlichen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn. Als wirtschaftlich starkes Land und als Exportweltmeister können wir uns auch einen Mindestlohn wie in Frankreich leisten.

Dies wäre nicht nur eine Frage von Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Würde der Arbeit, wie der Armutsbekämpfung.