Rede von Hermann Schaus

"Privatisierung der Bahn ist Diebstahl öffentlichen Eigentums"

Hermann Schaus

Rede zur Privatisierung der Deutschen Bahn AG

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Das Aktionsbündnis "Bahn für alle" ist seit Langem mit lokalen und bundesweiten Aktionen gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn aktiv. Das Aktionsbündnis "Bahn für alle" fordert dazu auf, sich für eine wirkliche Verkehrswende, eine konsequente Politik für die Schiene und damit für eine "Bahn für alle" zu engagieren. Diesem Bündnis gehören an: Attac, die Initiative "Bahn von unten", der BUND, der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V., "Bürgerbahn statt Börsenwahn", EUROSOLAR, die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien, die "Grüne Jugend Bundesverband", die GRÜNE LIGA, die IG Metall, die Jusos in der SPD, die Naturfreunde Deutschlands, Robin Wood, "solid", der Jugendverband unserer Partei, die "Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken", Umkehr e.V., der VCD-Landesverband Brandenburg und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Wir stehen mit unserem Nein zu jeder Form der Privatisierung nicht allein da. Wir teilen diese Ansicht mit der Mehrheit der Bevölkerung sowie mit der Mehrheit der Anhänger der CDU, der CSU und der SPD. Wir teilen diese Meinung mit dem Betriebsrat von Railion, der Gütertransportsparte, in Hessen, um nur einige weitere Beispiele zu nennen. Wir sind damit nah bei den Menschen und deren Sorgen. Privatisierungen haben sich in den allermeisten Fällen als nachteilig erwiesen. Es gibt weltweit kein gelungenes, auf Deutschland zu übertragendes Vorbild einer erfolgreichen Bahnprivatisierung. Dafür gibt es viele negative Beispiele: England, Neuseeland und Argentinien. In Estland hat die Regierung die Wiederverstaatlichung der privatisierten Bahn in Angriff genommen.

Wer solche Erfahrungen ignoriert und darauflosprivatisiert, der handelt grob fahrlässig. Was wir bei der heutigen Bahn beklagen, ist größtenteils die Folge der Jagd nach Börsenfähigkeit sowie einer mangelnden Kontrolle des Managements durch den Eigentümer BRD.

Die Erfahrungen mit der Telekom, der Post sowie mit anderen Bereichen sprechen eine eindeutige Sprache: Gewinne werden privatisiert, und die Verluste werden auf dem Rücken der Beschäftigten sozialisiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun zum Jamaikaantrag. In Großbritannien ist zu besichtigen, was eine Jamaikakoalition hier anstrebt: die völlige Trennung von Netz und Betrieb, die Liberalisierung und Totalprivatisierung. Vor einer Benutzung muss man aufgrund technischer Mängel warnen, deswegen sollte man dies nur besichtigen.

Erfahrene Eisenbahner wissen, dass das System der Eisenbahn ein einheitlicher Organismus ist. Das Unternehmen taugt nicht für neoliberale Spielereien, für eine völlige Trennung und Zerschlagung. Wenn man einzelne Organe abtrennt, dann ist irgendwann einmal der Kollaps vorprogrammiert. Es ist ein längst bekannter neoliberaler Irrglaube, dass der Markt es schon richten und mehr Verkehr auf die Schienen bringen werde. Das funktioniert nicht.

Wettbewerb ist die Parole derer, die neue Monopole bilden wollen. Im Schienenverkehr führt die Zerschlagung der alten Bahnen nur zur Herausbildung neuer Monopole. Dahinter stecken dann oftmals Großbanken und Fonds – teilweise auch "Heuschrecken" genannt. Ich führe hierzu beispielsweise die First Group, Interessent an der Hessischen Landesbahn, an. Hinter Abellio, die bereits in Hessen tätig ist, steckt die Bank of Scotland, die erst in dieser Woche wieder negative
Schlagzeilen gemacht hat.

Meine Damen und Herren, wir wissen, wo wir bei der CDU und der FDP dran sind. Es wundert mich aber, dass die GRÜNEN ein Papier unterschreiben, das der Landesregierung eine schienenfreundliche Politik bescheinigt. Die ÖPNV-Ausschreibungspraxis von Herrn Minister Rhiel bedeutet: eine Kostensenkung auf Teufel komm raus, Lohndumping, erhebliche Kritik an der Odenwaldbahn, deren Übernahme durch die VIAS zur Kritik über schlecht ausgebildetes Personal, und am Service führte. Die GRÜNEN sollten vielleicht einmal mit den britischen GRÜNEN reden, denn diese unterstützen die gewerkschaftliche Forderung nach einer Wiederverstaatlichung und Vereinheitlichung der Bahn. Es gibt Alternativen, und es kann eine Optimierung der Bahn geben, und zwar ohne Kapitalprivatisierung. Ich empfehle Ihnen auch: Fahren Sie vielleicht einmal in die Schweiz, studieren Sie die dortigen Verhältnisse.

Nun komme ich zum Antrag der SPD. Dieser ist ein Dokument der Hilflosigkeit. Die SPD-Basis ist überwiegend gegen eine Bahnprivatisierung. Das verdeutlichte der AfA-Kongress der vergangenen Woche – vor allem der hessische AfA-Antrag. Wider besseres Wissen haben die SPD-Führungsgremien am letzten Montag für eine Privatisierung die Tür geöffnet. Die hessische SPD hat dazu leider geschwiegen. Alle Erfahrungen zeigen: Sobald die Rendite zählt, ist es unerheblich, ob 5, 10, 25, 50 oder 100% in Form von Aktien vergeben werden. Ich erwähne in diesem Zusammenhang nur Blackstone und die Telekom, denn diese Unternehmung hält lediglich 4,5% der Aktien, doch kann sie trotzdem einen gewaltigen Druck auf den Vorstand sowieden Aufsichtsrat ausüben.

Meine Damen und Herren, der SPD-Antrag zeigt: Es ist den Kolleginnen und Kollegen von der SPD bei einer Privatisierung nicht wohl. Daher wollen sie zusätzlich alle möglichen Sicherungen einbauen. Die beste Sicherung vor Tarifdumping sowie der Zerschlagung des Konzerns wäre gewesen, keine Privatisierung zu befürworten, denn es gibt hierfür weder einen finanzpolitischen noch einen europarechtlichen Sachzwang.

Kurt Beck hätte den mächtigen "Stones" nur signalisieren müssen: Da mache ich nicht mit. – Wenn der Staat ohnehin über Jahre weit mehr als 10 Milliarden Euro pro Jahr in das Eisenbahnwesen steckt – das ist im Übrigen weitaus mehr als im Jahre 1994 –, dann soll er das Ganze auch in seiner Hand behalten und nicht mit öffentlichen Geldern private Renditen subventionieren. Der einzige Schutz gegen die Gefahren und Befürchtungen, die in dem Antrag der SPD angedeutet wurden, ist ein Verzicht auf den Börsengang. Keine einzige Aktie, kein Betriebsanteil darf in private Hände gelangen. Die SPD-Basis will diese neoliberale Politik nicht mehr.

Der Verzicht auf eine Bahnprivatisierung hätte eine erste Wende bringen können. Deshalb appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion: Stimmen Sie konsequenterweise unserem Antrag zu. Ich berufe mich in diesem Zusammenhang auf eine heute abgegebene Presseerklärung der hessischen Jusos. In dieser heißt es: "Die Bahn gehört auf die Schiene und nicht an die Börse!" Ich zitiere: Auf heftige Kritik bei den hessischen Jungsozialisten stoßen die Pläne der SPD-Bundesspitze, 24,9% einer neu zu gründenden Bahntochter "Verkehr und Logistik" zu verkaufen. Dazu erklären die stellvertretenden Juso-Landesvorsitzenden Felix Diehl und Tim Schmuch: "Zum Recht auf Mobilität gehört ein preiswerter und flächendeckender Bahnverkehr. Diesen Zielen steht aber das Gewinninteresse privater Investoren entgegen." An einer anderen Stelle heißt es: Es gibt also keinen Grund, 24,9% der Bahn zu verscherbeln. Privatisierungsfehler der Vergangenheit sollten nicht nochmals beim letzten in öffentlichem Besitz verbliebenen Großunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge gemacht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich habe hier auch noch Zitate von dem AfA-Bundeskongress. Das will ich Ihnen aber ersparen.

Zu unserem Antrag. Während die Bundesregierung in den nächsten Wochen grünes Licht für das Holdingmodell des Bundesfinanzministers und damit eine Teilprivatisierung des Transportbereichs der bundeseigenen Deutschen Bahn AG in Höhe von mindestens 24,9% geben will, plant die geschäftsführende Landesregierung mit Unterstützung der FDP immer noch die Privatisierung der Hessischen Landesbahn GmbH durch Verkauf an einen internationalen Konzern. Beides liegt nicht im Interesse der Beschäftigten, der Kunden, der Allgemeinheit und der Umwelt. Bahnunternehmen, die unter dem Renditedruck privater Investoren stehen, betreiben in aller Regel Kostensenkung zulasten der Beschäftigten, der Kunden und der Sicherheit. Schon jetzt ist diese Tendenz bei Privatbahnen in Deutschland wie auch bei der mit aller Gewalt an die Börse strebenden Deutschen Bahn deutlich festzustellen.

Die Pläne für eine Teilprivatisierung des DB-Transportbereichs werden von 58% der Bevölkerung abgelehnt. Selbst bei Unionsanhängern sind 47% dagegen und nur 42% dafür. Quelle ist das ZDF-Politbarometer und die "Süddeutsche Zeitung" von vor einer Woche.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. In diesem Sinne sollte der Hessische Landtag die Regierung in Land und Bund auffordern, von der Zielsetzung einer Kapitalprivatisierung abzugehen. Wir akzeptieren nicht das Totschlagargument, dass es zu einer Privatisierung keine Alternative gibt. Für uns ist die Privatisierung der Bahn Diebstahl öffentlichen Eigentums.