Rede von Hermann Schaus

Flughafenausbau: "Sie halten Ihre Versprechen nicht ein"

Hermann Schaus

Zum Flughafenausbau Frankfurt und Nachtflugverbot

Zum Flughafenausbau Frankfurt und Nachtflugverbot:

 

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Grundlage unserer heutigen Debatte ist das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel zu den elf Musterklagen. (Minister Dieter Posch: Stimmt!)

Wir bedauern nach wie vor, dass der VGH eine Auswahl der Kläger vorgenommen hat, weil damit auch eine Vorauswahl der inhaltlichen Fragestellung vorgenommen wurde. Es wäre gerechter gewesen, alle 240 Klagen zu erörtern und in einem gemeinsamen Verfahren zu verhandeln.

Das jetzt vorliegende Urteil, das den Ausbau bestätigt, aber ein striktes Nachtflugverbot fordert, wird zunehmend zu einem massiven Problem für die Landesregierung – wir haben das heute erlebt – und führt zur Entlarvung von FDP und CDU in Sachen Nachtflugverbot. (Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, doch dazu komme ich später noch ausführlich. Ich denke, dass wichtige inhaltliche Punkte in dieser Debatte nicht untergehen dürfen. Bedauerlicherweise geht das Urteil nicht in ausreichender Weise auf ungelöste Probleme und erhebliche Gefahrenquellen ein, die mit der Landebahn Nordwest verbunden sind. Dies ist unseres Erachtens, anders als die Bewertung des Herrn Ministers Posch, z. B. die Vogelschlagproblematik bei Westanflug am Mainkilometer 14,4. Das Gericht spricht hier nur von einer planerischen Bewertung des Problems und schließt somit vergleichbare Situation wie jüngst bei der Notlandung im Hudsonbay in New York, wenn die technischen Kontrollanlagen nicht das halten, was sie versprechen – und das weiß niemand –, ausdrücklich nicht aus.

Das sind weiterhin die Gefahren für das in der Einflugschneise liegende Tanklager in Raunheim und die umliegende Bevölkerung, die unseres Erachtens ebenso hoch einzustufen sind wie die Problematik bei Ticona. Das sind ferner die Lärmbelastungen und die Schadstoffbelastungen, auch am Tag, sowie ungeklärte Fragen des Naturschutzes.

Nicht im Klageverfahren, aber dennoch von großer Bedeutung sind für uns in dieser Diskussion die direkten und indirekten Kosten des Baus der Nordwestlandebahn. 4 Milliarden Euro Baukosten, finanziert durch Fraport, sind eine gewaltige Summe. Der Rückgriff auf das Eigentümerkapital und die Kreditfinanzierung vermindern aber auch die Ausschüttungen an die öffentlichen Anteilseigner der Fraport, nämlich das Land Hessen und die Stadt Frankfurt, in erheblichem Maße für Jahrzehnte.

2008 wurden insgesamt 180 Millionen € an die Anteilseigner ausgeschüttet. In diesem Jahr wird dies schon erheblich weniger, allein wegen dem erheblichen Rückgang der Passagierzahlen. (Fritz-Wilhelm Krüger (FDP): Das stimmt doch gar nicht!) Ob sich diese Investitionen aber auch langfristig bei weiter sinkenden Passagierzahlen jemals rechnen, ist und bleibt fraglich. (Beifall bei der LINKEN) Da Fraport offenbar den Bau des Terminals drei auf den Sanktnimmerleinstag verschieben will und wohl selbst nicht mehr an ihre eigenen Zuwachsraten glaubt, sind unsere Zweifel wohl sehr berechtigt. (Beifall bei der LINKEN)

Nicht beziffert und auch nicht bezifferbar sind jedoch die Verluste an Entwicklung und Einnahmen durch die Einschränkung von Siedlungs- und Gewerbeflächen bei den Anrainergemeinden. Die Landesregierung spricht immer nur von den wirtschaftlichen Segnungen, die das Land durch den Flughafenausbau erfahren wird. Ob sie eintreffen werden, ist komplette Spekulation. Aber für zunehmend mehr Menschen im Rhein-Main-Gebiet wird der Flughafen zum Fluch.

Nehmen wir das Beispiel Frankfurt. Der Regionalplan Südhessen weist in Erwartung des Fluglärms durch den Ausbau des Flughafens Bereiche aus, in denen regelmäßig die 60 Dezibelmarke überschritten wird. Wegen der hohen Lärmbelastungen dürfen dort keine neuen Siedlungen gebaut werden. In den Siedlungsbeschränkungsbereichen leben aber schon viele Menschen.

Nach längerem Drängen der Opposition im Römer hat der schwarz-gelbe Magistrat endlich Zahlen vorgelegt, wie viel Menschen in Frankfurt nach Ausbau des Flughafens in diesen Siedlungsbeschränkungsbereichen leben werden. Ich beziehe mich auf den Bericht des Magistrats der Stadt Frankfurt vom 19.06.2009. Darin steht: Dies trifft ca. 85.000 Menschen, davon 5.260 Schulkinder, ca. 4.000 in Kindertagesstätten und 3.000 Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Von der sozialen Infrastruktur in Frankfurt allein sind 57 Spielplätze, 47 Sportplätze, 21 Kleingartenanlagen und vier Freibäder betroffen. Bei allen diesen Einrichtungen können die Freiflächen nur noch eingeschränkt genutzt werden. Es sind 85.000 Menschen, die allein Frankfurt in Lärmkorridoren leben, in denen keine neuen Ansiedlungen vorgenommen werden dürfen.

Herr Ministerpräsident Koch, Sie haben im Falle eines Ausbaues ein Nachtflugverbot versprochen. Die SPD hat in einer umfangreichen Dokumentation den Wortbruch von CDU und FDP zum Nachtflugverbot belegt. Darin lässt sich detailliert nachlesen, wie viele konkrete Versprechungen den lärm- und umweltgeschädigten Bürgerinnen und Bürgern in den Anrainerstädten gemacht wurden. Sie beginnt mit Zitaten aus dem Mai 2000. Denen wollen wir nichts hinzufügen. (Beifall bei der LINKEN)

Doch schon vor dem Mai 2000, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gab es auch schon Zusagen von SPD-Politikern. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich hier auszugsweise wenige vortragen. Da heißt es im Planfeststellungsbeschluss des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik vom 23. März 1971, also zum Ausbau der Startbahn West: "Die Befürchtungen, dass später eine weitere Start- oder Landebahn parallel zur Bahn 18 West errichtet werden könnte, entbehren jeder Grundlage." Dazu kann man sagen: Das haben Sie umgesetzt, denn die neue Bahn ist nicht parallel zur 18 West.

Ich zitiere weiter: "Die Genehmigung einer solchen Maßnahme wird auf keinen Fall erteilt." Zehn Jahre später, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zur Startbahn West, erneuerte der damalige SPD-Ministerpräsident Holger Börner im Jahr 1981 das Versprechen: "Nach dem Bau der Startbahn wird kein Baum mehr für den Flughafen fallen." (Horst Klee (CDU): Das haben wir schon einmal gehört! Das ist nichts Neues! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Aber das ist wichtig, Herr Klee!)

Aus der Umweltverträglichkeitsbewertung des damals verantwortlichen Ministers Schneider, SPD, aus dem Jahr 1980 lesen wir Folgendes: "Die offenkundig gewordenen ökologischen Auswirkungen des Startbahnbaus – also der 18 West – zwingen aber auch zu durchgreifenden Entlastungsmaßnahmen beim künftigen Flächenverbrauch im Rhein-Main-Gebiet." Und last but not least – mein letztes Zitat – erklärt die Landesregierung unter Ministerpräsident Eichel im Jahr 1994: "Die Landesregierung erklärt unmissverständlich, dass sich an der derzeitigen Start- und Landebahnkonfiguration nichts ändert."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, auch das gehört zur Redlichkeit in dieser Debatte dazu. Wir können nicht umhin, an dieser Stelle natürlich auch auf die Mitverantwortung der SPD für die scheibchenweise erteilten politischen Zusagen nach dem Bau der Startbahn 18 West hinzuweisen.

Nun komme ich, wie Kollege Al-Wazir, zu Herrn Minister Posch. Da hat es mich schon überrascht, heute Morgen in der "Frankfurter Rundschau" – Herr Al-Wazir hat es bereits angesprochen – diesen Artikel mit diesen Aussagen zu lesen. Ich will dem nur eine hinzufügen, denn ich kann das nicht nachvollziehen.

Herr Minister, vorhin haben Sie mit Vehemenz dargestellt, dass man erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten muss, bevor man "seriös" darüber entscheidet. Das waren sinngemäß Ihre Worte. Dann müssen Sie mir aber an dieser Stelle erklären, wie Sie zu folgender Aussage und Position in der "Frankfurter Rundschau" von heute kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, dabei besonders auf die einzelnen Worte zu achten.

Ich darf zitieren: "Diese Position sei nicht hinzunehmen, weil damit auch Bundesgesetze in anderen Bereichen hintergangen werden könnten, sagte Posch. Man müsse dagegen gesetzlich vorgehen, wenn diese Rechtsposition vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt würde." Worum geht es hier? Eine klarere Aussage, bevor eine schriftliche Urteilsbegründung vorliegt – wie das Herr Minister Posch vorhin gerade gefordert und für sich in Anspruch genommen hat – ist also bereits getroffen. Die Aussage ist klar. Sie lautet nämlich: Wir sind nicht bereit, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs hinzunehmen; wir werden in Revision gehen; wir werden in Revision gehen müssen – so habe ich Sie verstanden, mit dem Vortrag Ihrer juristischen Winkelzüge in diesem Zusammenhang; wir werden nicht akzeptieren, dass die Entscheidungen des Landesentwicklungsplans geltendes Recht werden, weil – und dann kommt viel Juristisches. Ich bin manchmal froh, dass wir bei uns in der Fraktion nicht so viele Juristen haben – wenn ich höre, was Herr Posch hier heute an Winkelzügen vorgetragen hat. (Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zurufe von der CDU und der FDP sowie des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Herr Hahn, was ich in meinem Verwaltungsstudium gelernt habe, war, dass Speziallandesrecht vor allgemeinem Bundesrecht steht, also die Landesentwicklungsplanung. Anders kann es rechtlich gar nicht verstanden und gemeint gewesen sein. Wie sollte denn ansonsten Ihr Beschluss – an dem wir nicht beteiligt waren – aus dem Mai 2007 juristisch zu bewerten sein? (Wolfgang Greilich (FDP): Nochmals studieren!)

Sie verdrehen es. Im Rahmen des Landesentwicklungsplanes ist das Nachtflugverbot miteinbezogen worden. Möglicherweise können Sie sich aus dieser Kiste mit juristischen Winkelzügen herauswinden – aber politisch bleiben Sie in der Verantwortung dafür, dass den Bürgern hier seit Jahren etwas versprochen wird, (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Schreien Sie doch nicht so rum!) was Sie nicht einzuhalten und durchzuführen bereit sind. (Beifall bei der LINKEN – Axel Wintermeyer (CDU): Mäßigen Sie sich einmal! – Zuruf von der CDU: Haben Sie schon einmal etwas von Lärmschutz gehört?)

Deshalb bleibt für mich nur der Schluss: Bestehende Gesetze sollen einseitig den Wirtschaftsinteressen geopfert werden, die betroffenen Menschen spielen dabei keine Rolle. Dies ist zynisch und menschenverachtend. Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr viele haben gehört, was Sie hier gesagt haben, Herr Posch – was Ihr Wort ist und was Ihr Wort gilt.

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Wir als LINKE vertreten die Position, dass keine Revision gegen das VGH-Urteil durch die Landesregierung eingelegt werden soll. Wir fordern den sofortigen Beginn eines Planänderungsverfahrens. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das interessiert aber niemanden, was Sie fordern!) Und wir vertreten nach wie vor die Position der Bürgerinitiativen: keine Nachtflüge in der Nacht zwischen 22 und 6 Uhr.  (Beifall bei der LINKEN – Minister Jörg-Uwe Hahn: Denken Sie an die Arbeitsplätze!)

Aus unserer Sicht sind alle drei vorgelegten Anträge nicht ausreichend. Dennoch werden wir dem Antrag der GRÜNEN zustimmen, denn er bezieht sich auf die Beschlussfassung des Landtags vom 18. Mai 2000 und weist in die richtige Richtung.

Dem Antrag der SPD werden wir hingegen nicht in vollem Umfang zustimmen können – denn er begrüßt das VGH-Urteil, (Günter Rudolph (SPD): Das stimmt!) das wir in seiner Gesamtheit nicht begrüßen. Dieser Antrag versucht, die Mitwirkung der SPD an den negativen Folgen des Flughafenausbaus zumindest einmal beiseite zu schieben. Deswegen werden wir Abs. 4 des SPD-Antrags zustimmen. (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Was?) Wir können uns auch vorstellen, den Abs. 3 und 5 dieses Antrags zuzustimmen. Allerdings werden wir weder in Abs. 1 das Urteil begrüßen, noch eine Kapazitätsausweitung durch Neubau in Abs. 2 zustimmen, noch einer Verlagerung der Nachtflugproblematik an den Flughafen Hahn. (Beifall bei der LINKEN)