Pressemitteilung von Hermann Schaus

NSU-2.0 Prozess: Nebenklage muss Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft übernehmen

Hermann SchausNSU 2.0AntifaschismusInnenpolitik

Zu den Entwicklungen im Prozess gegen den mutmaßlichen NSU-2.0-Drohbriefschreibenden erklärt Hermann Schaus, Prozessbeobachter und Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag:

„Es ist ein Novum, dass die Nebenklage einen Angeklagten entlastet – und das liegt allein an den unzureichenden Ermittlungen zu Verstrickungen von Polizeikräften. Die Nebenklageanwältin von Seda Başay-Yıldız, Antonia von der Behrens, zählte Indizien für die Urheberschaft des ersten Drohfaxes auf, die eben nicht auf Alexander M., sondern auf einen Polizisten des 1. Frankfurter Polizeireviers hinweisen. Dieser war mutmaßlich für die Datenabfragen verantwortlich, in der berüchtigten rechten Chatgruppe „Itiotentreff“ sowie in rechten Darknetforen aktiv. Es ist unbegreiflich, dass die Staatsanwaltschaft diese Indizien unberücksichtigt gelassen hat.“

Es gebe haufenweise Leerstellen in den Ermittlungen, so Schaus. So seien bei weitem nicht alle bekannten Drohschreiben Teil der Anklage; gleiches gelte für Anrufe im Umfeld der Betroffenen, bei denen persönliche Daten erfragt wurden. Dazu käme, dass die Polizei es offenbar nicht für nötig gehalten habe, Betroffene von allen gegen sie gerichteten Drohschreiben zu informieren.

„Unsere Kritik ist seit Beginn der Ermittlungen, dass Zusammenhänge zwischen den Datenabfragen an Polizeicomputern, rechten Polizeikräften und Drohbriefschreibenden nicht ausermittelt wurden. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn Kolleginnen und Kollegen gegeneinander ermitteln sollen.

Daraus ergeben sich offene Stellen bei den Ermittlungen und in der Anklage. Die Betroffenen müssen derweil mit zum Teil erheblichen Folgen hinsichtlich ihrer psychischen Gesundheit, Alltagsgestaltung und insbesondere dem Sicherheitsempfinden gegenüber den Polizeibehörden umgehen. In ihrem Sinne muss der Prozess eine vollumfängliche Aufklärung leisten.“

Hinweis:

Sowohl Martina Renner als auch Janine Wissler gaben an, weitere Drohschreiben mit Indizien in Richtung „NSU 2.0“ erhalten zu haben, die nicht in der Anklage aufgeführt werden. Renner übergab dem Gericht deshalb etliche Schreiben, die sie bspw. im Kontext des NSO-Prozesses empfing.


Aus den Zeugenaussagen von Anja Reschke und Hengameh Yaghoobifarah ergab sich, dass in beiden Fällen auch Anrufe im sozialen Umfeld getätigt wurden, um persönliche Daten der Betroffenen zu erlangen. Diese erfolgten mit zeitlichem und inhaltlichem Zusammenhang zu Drohschreiben an die jeweilige Person. Im Fall Reschke fanden die ersten Anrufe bereits 2015 statt; die Tonaufnahme eines Anrufs bei der Polizei wurde im Rahmen der Ermittlungen aber scheinbar nicht ausgewertet.